Hanns-Erich Kaminski - Fascismus in Italien

- 81 - " führen, die nicht zu weiser Mäßigung erzogen sind. Demokratie, Pazifismus, Gleichberechtigung, Selbstbestimmungsrecht ... ? Aber war nicht die Renaissance eine große Epoche, die Zeit der schrankenlosen Persönlichkeiten, der ungehemmten Ausschweifungen, der ehrgeizigen Vergewaltigungen? Schaffen wir die vierte Roma, gründen wir noch einmal die Weltherrschaft des neuen Italiens„ bekümmern wir uns nicht :um die törichten Humanitätsideale des 19. Jahrhunderts, das Leo Daudet in seinem· neuesten Buche als ein dummes Jahrhundert zensiert hat! . . . Wielch hübsche literarische Idee ! Wenn solche Gedankengänge, natürlich vielfach abgewandelt und durch die praktische Politik gemildert, gegenwärtig einen großen Teil der gebildeten Jugend Italiens· beherrschen, so liegt das hauptsächlich daran, daß. dies,e Bewegung einen Führer hat, der durch seine Werke und mehr noch durch sein Leben die Berechtigung ihrer Ideen zu bestätigen scheint: Gabriele d' Annunzio. Es spi,elt an dieser Stelle keine Rolle, ob d' Annunzio ein großer Dichter ist. Tatsache ist, daß er ein,en Einfluß auf das ganze geistige Leben seines Landes ausübt, wie ihn wohl noch niemals ein Dichter zu seinen Lebzeiten gehabt hat. Zwei Umstände erklären diese einzigartige Stellung. Einmal das lebhafte Interesse, das in den gebildeten Kreisen Italiens an der zeitgenössischen Produktion herrscht und das es ermöglicht, daß. der Lorbeer des Ruhm-es nicht nur auf Gräbern wachsen ~ann. Zum andern die Freude an Anerkennung und BeWUJnderung, die in diesem überaus individualistischen Lande herrscht. Das ist auch der Grund des raschen Aufstiegs Mussolinis und des Kultes, der bis zur Abgeschmacktheit mit seiner Person getrieben wird~ Gabriele d' Annunzio ist bereits ein Nationalheros geworden, s-ein Bild hängt in allen Häusern, auf Postkarten ist er zusammen mit Dante abgebildet, und die Zeitungen. nehmen von jedem Ausflug, den er macht, von jedem Wort, das er spricht, von jedem\ Telegramm, das er ,verschickt, mit peinlichster Genauigkeit Notiz. Seine Bücher kennt jedermann, und jeder Provinzdichter sucht seinen Stil zu kopieren, diesen dionysisch-musikalischen Stil, der in Italien, wo das Interesse und die Liebe, zu der Kunst zu sprechen und zu schreiben, weit verbreitet sind, schon allein zum Erfolg genügt. Sein Leben ist schon. Legende. Sein Verhältnis zur Duse, die Reden in Quarto, Rom und Genua, die einen so bedeutenden Einfluß auf die Teilnahme Italiens .am Kriege ausübten, der Flug über Wieri: das sind nur einige Kapitel dieses Heldengedichts. Und dann der Marsch auf Roncchi! Der Kampf um die Adria als italienisches Binnenmeer! Hatte Italien wirklich diese aben- . teuerliche Unternehmung nötig? Kann es wirklich nicht existieren ohne Fiume? Giolitti, Orland<>, Bonomi, Nitti, vier Ministerpräsidenten, waren anderer Meinung, verurteilten einen zweifelhaften • Kaminski 6

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