Hanns-Erich Kaminski - Fascismus in Italien

- 80 - ihn, weil er -ihnen das kleinere Uebel zu sein schien, aber sie sahen sein Wachstum ohne große Freude, und mit Ausnahme der Rüstungsindustriellen wünschten sie durchaus nicht seinen Sieg. Man erzählt vermutlich nicht ohne Grund, daß die Geldzufuhr in der letzten Zeit stark nachließ und daß der Marsch nach Rom nicht nur von politischen, sondern auch von finanziellen Gründen diktiert war. Auch jetzt noch stehen diese Kreise der fascistischen Regierung ziemlich skeptisch gegenüber, obgleich sie deren Politik eigentlich darüber b_elehrt haben dürfte, daß von ihr keine antikapitalistischen Maßnahmen zu befürchten sind. Wodurch hat nun der Fascismus das Kleinbürgertum gewonnen? Die ökonomische Situation machte es möglich, daß sich eine neue Macht zwischen Kapital und Arbeit schob. Aber wodurch hat diese Macht die erforderlichen Kräfte erhalten? Es ist klar, da& dazu die Verneinung des MaximaHsmus :nicht genügte, sondern eine ideologische Grundlage nötig war, die sich nicht in ein paar Mo-- naten bild~n konnte. Jede größere Bewegung muß an einen Geisteszustand anknüpfen können, der mindestens im Keime bereits vorhanden ist. Nur aus dieser Ideologie läßt sich die Beg·eisterung und die Hingabe erklären, die der Fascismus ohne Zw,eifel besonders in der Jug,end hervorgerufen hat. Diese Ideologie ist in der Tat vorhanden. Es ist der Gedanke des Nationalismus. Die Fascisten haben diesen Gedanken allerdings nicht geschaffen, sie haben ihn nur adoptiert und mit jener demagogischen Phrasenhaftigkeit ausgestattet, die die zum Laster gewordene Tugend der Beredsamkeit ist. Der nationalistische Gedanke ist vielmehr das geistige Eigentum der Partei der Nationalisten, die ihn ungefähr in der Zeitspanne von 1910 bis 1915 entwickelt haben. Von Hause aus ist er eine literarische Richtung wie der Naturalismus oder der Futurismus, mit dem er sich vielfach berührte, eng verwandt mit der nationalistischen Richtung in Frankreich, an deren Spitze Maurras und Daudet stehen. In mancher Hinsicht ähnelt ·er unsern Romantikern, die sich ja auch in die Vergangenheit versenkten und a.us ihrer literarisch,en Vorstellung des Mittelalters sich eine Gegenwart konstruierten, die in Wirklichkeit nichts anderes war als die schwärzeste Reaktion. Die Versuchung zu einem derartigen Ahnenkult ist in Italien noch größer als anderswo. Hier, wo jeder Stein seine Geschichte hat, wo so viele Denkmäler von unvergänglicher Größe erzählen, vermischen sich leicht die Erinnerungen an die Vergangenheit mit Träumen zukünftigen Glanzes. Vielleicht ist die Vergangenheit überhaupt die schwerste Belastung, die die italienische Politik zu tragen hat. Die Erinnerung an die pax romana, an die päpstliche Macht, die den Schulkindern der ganzen Welt eingehämmert wird, muß in Italien beinahe mit Naturnotwendigkeit zu größenwahnsinnigen Ueberspanntheiten in unreifen Köpfen

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