- 77 - erstenmal dagegen Stellung genommen. Aber ganz abgesehen davon, daß sie eigentlich nur die Gewaltakte gegen die Katholiken verurteilte - der Vatikan erschien nämlich auf dem Plan, der Papst überwies ·den Geschädigten eine halbe Million LireJ und der Kardinalstaatssekretär begleitete diese Demonstration mit einem Brief, in dem er von barbarischen, unmenschlichen Handlungen sprach -, hat sie ·sehr bald gezeigt, wie sie sich die Normalisierung denkt. Am 1. Mai wurden so.gar private Versammlungen verboten. Di,e Straßen der Großstädte wurden mit Polizei und Militär gesichert, als ob man eine Revolution erwartete. Hunderte von Sozialisten waren schon ein paar Tage vorher in Präventivhaft _genomm,en; in Rom wurden die vereinzdten Arbeiter, die in Gruppen von zwanzig, dreißig Personen Ausflüge in die Umgebung machten, eingesperrt, und die sozialistischen Zeitungen, die wider Recht und Gesetz unter Vorzensur gestellt waren, mußten mit großen weißen Flecken erscheinen. · Ebenso soll die Opposition in der Kammer unterdrückt werden. Die parlamentarischen Kommissionen werden nicht mehr entsprechend der Stärke der verschiedenen Parteien zusammengesetzt, sondern vom Präsidium ernannt. Eine neue Geschäftsordnung wird die Redezeit und das Recht, Anträ_ge zu stellen, beschränken. Und aller Wahrscheinlichkeit nach wird der rechte Flügel des Fascismus auch seine Ausnahmegesetze bekommen. Normalisierung - des Terrors also. Bei alledem fühlen sich die oppositionellen Parteien zusehends stärker. Die Wahlen haben ihnen gezeigt, daß sie mehr Anhänger besitzen, als sie selbst geglaubt hatten. Ihr Selbstbewußtsein ist gekräftigt, ihr Mut gehoben. Insbesondere die Sozialisten haben gesehen, daß das italienische Proletariat seiner alten Fahne treu geblieben ist. Und der große Erfolg der Linken bei den französischen Wahlen ist ihnen wie eine Verheißung des eigenen Sieges erschienen. · Freilich darf man diese antifascistischen Kräfte auch nicht überschätzen. Noch ist der Schnee zu frisch, unter dessen kalter Decke die Freiheit Italiens begraben liegt, noch herrscht die Diktatur mit !Unverminderter Gewalt. Absolut oder plebiszitär - der ·Fascismus bleibt, was er ist: die nackte, brutale Reaktion. Jede seiner Maßnahmen ist zum Besten der Kapitalisten, nicht eine zum Besten des Proletariats. Die Verfassung existiert nur für die fascistenfreundlichen besitzenden Klassen, für das arbeitende Volk sind die bürgerlichen Rechte, diese mühsam erkämpften Errungen~ schaften der Revolutionen des vorigen Jahrhunderts, aufgehoben. Die Freiheit der Person, der Wohnung, cier Presse, ·aer Vereinigung, wo sind sie geblieben! Normalisierung? - Aber niemand ""spricht von einer Entschädigung an die mißhandelten Personen, an die zerstörten Zeitungen, von einer Rückgabe der besetzten
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