- 74Die plebiszitäre Periode des Fascismus Die Kammerwahlen im April 1924 brachten dem Fascismus selbstverständlich den gesetzlich vorgeschriebenen Sieg. Von den 7,5 Millionen abgegebenen Stimmen (63 Prozent der Wahlberechtigten) erhielt die Regierungsliste 4,2 Millionen, also eine Mehrheit, die die für die Zweidrittelmehrheit der Sitze erforderlichen 25 Prozent weit überstieg. Man darf sich durch diese Zahlen jedoch nicht täuschen lassen. Die drei sozialistischen Parteien erhielten zusammen 1,1 Millionen Stimmen, d. h. zwei Drittel der für sie bei den Wahlen von 1921 abgegebenen. In dem Industrier dreieck Mailand-Genua-Turin waren sie allein den Fascisten überlegen; in dem rein agrarischen Süditalien, wo ihr Anhang niemah~ stark war, fandren sie .stellenweise nicht unbeträchtlichen Anhang; sogar in Mittelitalien, der Domäne des Fascismus, wurden zahl-' reiche Stimmen für sie abgegeben: Heldenstimmen. Ebenso durften die Popolari und die Republikaner, die mit nicht geringeren Schwierigkeiten als die Sozialisten zu kämpfen hatten, mit dem Ergebnis zufrieden sein. Dagegen schnitten die konstitutionellen Demokraten, die sich nur wn Personen, nicht um eine Idee gruppierten, recht schlecht ab. Ihr Führer Bonomi fiel durch und fehlf in der neuen Kammer. Man darf daraus schließen, daß die Bevölkerung des fortgeschritteneren Nordens sich lieber Ideen als den Intrig,en und dem Ehrgeiz einzelner anvertrauen wollte. Die Parteien behielten darum ihre Widerstandsfähigkeit, die persönlichen Einflüsse versagten. Anders liegen die. Dinge indessen immer noch in Süditalien. Die lokalen Maffien und Camorren sind noch bei jeder Wahl ministerial gewes,en, sie verhalfen auch diesmal der Regierungsliste zum Sieg, nachdem Mussolini ihre Kandidaten darin a:ifgenommen hatte. Inwieweit man in diesen Provinzen daher v,on einem Erfolg des Fascismus·sprechen kann, ist zum mindesten sehr zweifelhaft. Daß die Maffiosen die Wahlen nach ihrem bewährten System machen, bei dem Tote und Ausgewanderte wählen, Stimm'- zettel verschwinden usw., versteht sich von selbst. Eine Neuheit war es jiedoch~ daß die Fascisten diese Methoden auch in MittelitaHen anwandten. Sie verfügen dort, in dem Zentrum ihrer ganzen Aktivität, freilich in der Tat über sehr bedeutende Kräfte, aber die „Totalit~t" der manchmal hundertprozentigen Resultate zu i~ren Gunsten erklärt s'ich doch auch zum guten Teil aus dem skrupel~ losen Terror des Squadrismus, der vor keinem Mittel der Einschüchterung, der Fälschung und sogar der offenen Gewalt zurückschreckte. In jedem Falle ist die Stellung des Fascismus durch das Wahlresultat gründlich geändert. Er kann sich jetzt immerhin auf die Zustimmung einer großen ·Mehrheit berufen. Die alte Kammer, die
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