- 73 - hat die Regierung in allen sozialen Fragen noch nicht das ge.:.. rJngste Verständnis für die Lage des Proletariats g1ezeigt. Die Staatsbetriebe entlassen zahllose Arbeiter und Beamte mit einerHärte ohnegleichen, und den Verbleibenden sind Gehälter und T1 euerungszulagen beträchtlich gekürzt worden, obgleich die Krise: unvermindert anhält. Die einzige Gesetzesverordnung, die den Anschein hat, zum Besten der Arbeiterschaft erlassen zu sein,, nämlich die Festlegung des Achtstundentages, stellte - ganz von den vielen Ausnahmen, die sie zuläßt, abgesehen - in praxi eine V,erschlechterung des bestehenden Zustandes dar, hauptsächlich„ soweit es sich um die Ueberstunden handelte. Dennoch ist der erste Anstoß zur Auflösung des Integralismus nicht von den Arbeitern, sondern von den Kapitalisten ausgegangen, die selbstredend niemals ernsthaft an den Harmonieunsinn geglaubt hatten. In den Organisationen ist es bereits wiederholt zu schweren Konflikten gekommen, da die Arbeitnehmer sich weigerten, selbst die bescheidensten Forderungen der Fascisten zu erfüllen. Besonders die Agrarier· erklären jetzt, da sie sich unter den Fittichen der Diktatur wieder sicherer fühlen, daß besondere Organisationen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern doch das richtigere seien. Mit andern Worten: nachdem der Integralismus. seine Schuldigkeit getan hat und sie nunmehr die Ueberle,genen sind,_fordern s'ie - die Wiederaufnahme des Klassenkampfes. Der Fascismus ist in dieser Frage gespalten. Mussolini und seine Oligarchen scheinen mehr dem Standpunkt der Kapitalisten zuzuneigen, während die Führer der fascistischen Gewerkschaften und .die „selvaggi", die imm,er noch mit dem Programm von · 1~19/20 liebäugeln, nicht gewillt sind, den Syndikalismus gänzlich der Politik des Ministerpräsidenten zu opfern. Aber wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird, dieser degensatz beweist ohne Zweifel, daß auch die Diktatur nicht die Ergebnisse des modernen Wirtschaftslebens kommandieren kann. Denn auch die fascistischen Arbeiter kann keine Ideologie und keine Beeinflussung auf die Dauer daran hindern, ihre Interessen; wahrzunehmen. Die wenigen Streiks, zu denen es gekommen ist, sind fast alle von den fascistischen Organisationen geführt worden,. im April 1923 besetzten fascistische Arbeiter in Genua . sogar eine Fabriik. Wenn wirklich die Theorie des Klassenkampfes noch eines Beweises bedurfte: hier ist er geliefert. Der Klassenkampf ist eben nicht die Erfindung böswilliger Volksverführer, der Klassenkampf ist da und wtlrd dableiben, solange es noch Klassen gibt; kein Mussolini kann das auf die Dauer verhindern.
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