Hanns-Erich Kaminski - Fascismus in Italien

- 72 - er sorgte dafür, daß der alte Anar~hist Malatesta ungestört .aus England nach Italien kommen konnte; _er unterstützte das FiumeOnternehmen d' Annunzios; er half dem „Avanti" mit einer größ.eren Geldsumme aus; schließläch stand er dem Fascismus gegenüber und konnte sich nicht entschließen, ob er ihm nur den kleinen Finger oder die ganze Hand g,eben sollte. D.ieses sehr seemännische Scha:t.- keln ist dabei ebenso die Folge der Krise, die auf den Seeleuten besonders schwer lastet, wie des unsteten Temperaments ihres Führers Oiulietti. Bereits vor dem fascistischen Handstreich war der Verband aus ~er confederazione generale ausgetreten und hatte sich d' Annunzio zur Verfügung gestellt. D' Annunzio seinerseits unterhandelte in der Sache mit Mussolini, ohne daß eine Einigung zustande kommen konnte, bis Gu1iliettieines Tages durch eine Palastrevolution gestürzt wurde und d' Annunzio auch offiziell den Vorsitz der Gewerkschaft übernahm. Auch dann traten die Seeleute allerdings nicht in den fascistischen Gewerkschaftsbund. ein, mit dem sie vielmehr nur in einem unklaren Kartellverhältnis stehen. Aber rein wirtschaftlich war der famose pactum sine nomine - bei d' Annunzio dürfen die lateinischen Zitate selbstverständlich auch nicht iin der Gewerkschaftspolitik fehlen - eine völlige Kapitulation vor den Reedern. Indessen sind die Seeleute mit ihrem poetischen Vorsitzenden nicht gerade zufrieden. Sie haben so gut wie a!lfgehört, Beiträg,e zu zahlen und fordern die Rückkehr Giuliettis, der bei aller Sprunghaftigkeit seiner Ueberzeugung doch niemals ihre Interessen ga~z aus den Augen gelassen hatte. (Vgl. S. 97.) Das Verhältnis zu dem bedeutenden Verband der Seeleute ist nicht das ·einzige Problem, das die fascistische Gewerkschaftsbewegung ru lösen hat. Die Widersprüche, aus denen sie besteht, erheischen mit jedem Tage dringender einer Klärung, die nun, da der Fascismus regiert, nicht mehr in bloß platonischen Aeuße·- rungen ohne entsprechende Handlungen bestehen kann. Das Problem, ob die Gewerkschaften politisch oder apolitisch sein sollen, ist noch die unbedeutendste davon. Denn die politische Abstimmllng ist :immer nur eine Fiktion gewesen, und es liegt wenig daran, ob man sie aufrecht erhält oder nicht. Dagegen zeigt sich immer deutlicher, daß der Klassenkampf eine Wirklichkeit ist, die nicht so ohne weiteres „abgeschafft'' werden kann. Die fascistische Regierungspolitik hat bisher noch nichts getan, um ihren angeblichen Sozialismus zu beweisen. Im Gegenteil steht sie im Begriff, die Eisenbahnen, den Telephondienst, die sozialen Versicherungen gänzlich - rum Teil sind sie es schon - dem Privatkapital auszuliefern, und die Beteiligung des Staates an einigen halbbankrotten Gesellschaften der Schwerindustrie, die tatsächlich nur eine Sanierung aus öffentlichen Mitteln ist, sieht gleichfalls einer Sozialisierung nicht sehr ähnlich. Ebenso

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