Hanns-Erich Kaminski - Fascismus in Italien

- 69 - täglich mehr durch das Vordringen des Proletariats bedroht sahen, griffen nach diesem Strohhalm, der sie zunächst nichts kostete und sie im Augenblick vielleicht sogar retten konnte. Bei der Arbeiterschaft dagegen fand diese Harmonieheuchelei nicht viel Anklang, und erst unter der fascistischen Herrschaft hat der ,,integrale Syndikalismus" größere Massen anzuziehen begonnen. Die Errichtung der Diktatur führte natürlich zu einer vollständigen Umwälzung der Gewerkschaftsbewegung. Von den 121 Arbeiterkammern, die die Gewerkschaften in allen Städten der Halbinsel besaßen, sind keine zehn mehr in ihrem Besitz. Gewerkschaftshäuser gibt es überhaupt nicht mehr. Die 57 verschiedenen Fachgewerkschaften existieren dem Namen nach zwar noch alle, aber von den 2,5 Millionen Mitgliedern, die sie im Jahre 1919 hatten, sind keine 300 000 übrig geblieben. Lohnkämpfe können nicht mehr geführt werden, selbst gewöhnliche Versammlungen sind äuß,erst selten und die Teilnehmer immer persönlichen Gefahre·n ausgesetzt. Die Gewerkschaften haben keiinen Centesimo Entschädigung für ihr zerstörtes Eigentum erhalten, sie erhalten keine Miete für ihre Häuser, in denen sich alle möglichen fascistischen Organisationen breitmachen, sie erhalten nicht einmal Antwort auf die Eingaben, die sie an die Regierung richten. Daß nach alledem von einer geordneten Gewerkschafts'tätigkeit keine Rede sein kann, ist klar. Die Statistik der Streiks gibt darüber vollkommen Aufschluß. Hier ist sie: In der Industrie In der Landwirtschaft Jahr Zahl der Streiks j Zahl der Streikenden Zahl der Streiks 1 Zahl der Streikenden 1921 1045 644564 89 79298 1922 552 422 773 23 25146 1923 153 49 765 2 350 - Sogar die Feier des 1. Mai wurde von der Regierung verboten, die Verträge, die an diesem Weltfeiertag Arbeitsruhe vorsahen, wurden für ungültig erklärt; um so bewunderungswürdiger ist es, da6 trotzdem zahlreiche Arbeiter - in Rom allein ein Viertel des ganzen Industrieproletariats - sich die Feier ihres schönsten Tages nicht nehmen ließen. Mit welchen Mitteln die f ascistische Regierung gegen die proletarischen Organisationen oder vielmehr gegen das, was der Ter,ror ihrer Squadristen noch davon übrig gelassen hat, v,orgeht, zeigt eine Verordnung, die im Januar 1923 erschienen ist. Danach erhalten die Präfekten - also rein politische Behörden - das Recht, Arbeit- ~ -nehmervereinigungen jeder Art zu beaufsichtigen, ihre Geschäftsführung zu überprüfen, die Verwaltungsräte aufzulösen und durch

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