Hanns-Erich Kaminski - Fascismus in Italien

.. , . - 68 - d' Annunzio für sogenannte geistige Gewerkschaften ein, in denen die Kopfarbeit mehr betont werden sollte als in den sozialistischen Gewerkschaften, wo der Geist angeblich keine Stätte findet. Aber diese harmlose literarische Spielerei konnte natürlich niemals eine ernste Bedeutung g,ewinnen.) Die Fascisten begriffen wohl, daß: sie mit geistigen Gewerkschaften ,ebensowenig wie mit einer literarischen Politik jemals eine Massenpartei werden könnten. Als Vereinigung von Kriegsteilnehmern sahen sie sich außerdem von vornherein gewissen sozialen Aufgaben gegenüber, die sich von denen der sozialistischen und volksparteilichen Organisationen kaum unterschieden. Allerdings stießen sie dabei auch auf die Konkurrenz ähnlicher Kriegsteilnehmervereinigungen, die erst im Mai 1923 auf eigene gewerkschaftliche Betätigung verzichteten. Die eigentliche Schwierigkeit für sie bestand jedoch darin, ein gewerkschaftliches Programm ausfindig zu machen, das dem Proletariat etwas v,ersprach, ohne den Kapitalisten etwas zu nehmen und das Kleinbürgertum zu stören. Die Armen sind für den Sozialismus, die Reichen für den Nationalismus, also proklamierten die Fascisten den nationalen Sozialismus. Was sie unter dieser Absurdität verstehen, ist bis auf diesen Tag ihr priesterlich gehütetes Geheimnis. Wer versuchen wollte, es zu lösen, würde wahrscheinlich dieselbe Enttäuschung erleben wie Pompeius, als er in das Allerheiligste des Tempels in Jerusalem eindrang und sich vergeblich n~ch einem Gotte umsah: das Allerheiligste war leer. Die Fascisten nahmen den Begriff Sozialismus auf, der den Massen in dreißig Jahren teuer geworden ist, aber sie begnügten sich damit, das Wort vor sich herzusagen, während sie die Gedanken, die es umfaßt, verleugnen und bekämpfen. Ihr sogenannter Sozialismus ist nichts als ein kläglicher Widerspruch in sich selbst; dieser Sozialismus ohne das Ziel internationaler, Bedarfsdeckung und hauptsächlich ohne Klassenkampf. Wenn es keinen Klassenkampf gibt, wenn die Arbeiter nicht gezwungen sind, für ihre Besserstellung zu kämpfen, dann müßten ja nun eigentlich auch die Gewerkschaften überflüssig sein. Aber Gewerkschaften wollte der Fascismus haben, folglich erfand er die Gewerkschaften ohne gewerkschaftliche Ziele, Gewerkschaften einer trauten Harmonie zwischen Kapital und Arbeit, oder - wie er es selbst nennt - den ,,,integralen" Syndikalismus. In diesen famosen Gebilden sollten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammenfinden, um gemeinsam, ohne Haß und ohne Feindschaft, über das Gedeihen aller Beteiligten zu beraten. Es bedurfte schon der ganzen Verwirrung der Nachkriegszeit, um einen derartigen Unsinn überhaupt aussprechen zu können. Aber die Unternehmer, die infolge der Krise zum Klassenkampf zu schwach waren und sich •

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