Hanns-Erich Kaminski - Fascismus in Italien

- 67 - kenntnis als aus Neigung zur Revolution in die Gewerkschaften strömten, mußten diese syndikalfstischen Tendenzen naturgemäß, verstärken. Besonders die Landarbeiter und die Beamten, die keine gewerkschaftliche Schulung durchgemacht hatten und die bei jedem Streik auf größere Schwierigkeiten stießen als die Veteranen der Industrieregimenter, glaubten nun plötzlich mit einem Schlage alles erreichen zu können, was sie in . Jahrzehnten versäumt hatten. Die Ratschläge der conjederazione generale ~onnten -sich demgegenüber nicht immer durchsetzen, wn so weniger, als der Einfluß: einzelner Führer viel größer ist als in den mittel- und nordeuropäischen Ländern. Aus allen diesen Gründen war die Bewegung auch gegenüber den Lockungen der Moskauer G,ewerkschaftsinternationale nicht so widerstandsfähig, wie es im Interesse eines •einheitlichen Kampfes zu wünschen gewesen wäre. Verschiedene Organisationen schlossen sich ihr an und fo\gten bereitwillig den törichten Ratschlägen, die ihren. eigenen Wünschen freilich .nur entsprachen. Das Resultat war eine Uebersteigerung der gewerkschaftlichen Kampfmittel, die sich bitter rächen mußte. Wilde und schlecht organisierte Streiks wurden aus wichtigen wie aus nichtigen Gründen ohne Maß und Ziel geführt, der Generalstreik beinahe jede Woche erklärt, Fabriken besetzt, unerfüllbare Forderungen gestellt; bis sich das italienische Proletariat schließlich zu Tode gestreikt ·hatte und die Bahn für den Fascismus frei war. Diese schLechte Gewerkschaftspolitik, die beinahe immer mit falschen Einsätzen am falschen Platze arbeitete, war freilich auch nur die Wirkung jenes unglücklichen Risses, der die sozialistische Partei zu keinem Handeln koJl!men ließ. Die conjederazione generale stand ganz im Lager de~ Reformismus und widersetzte sich jedem politischen Streik, während die Revolutionäre sich nicht damit begnügten~ den Kampf ·gegen diese Auffassung zu führen, sondern glaubten~ die Revolution durch Einzelaktionen erz,wingen zu können. Als sich sämtliche Richtungen im Sommer 1922 endlich zur gemeinsamen Abwehr des Fascismus zusammenfanden, war es bereits r.1 spät; das Proletariat war erschöpft, und der letzte Generalstreik bot nicht einmal mehr das Bild einer bedeutenden Demonstratio·n. Die ehemaligen Sozialisten, die sich im Fascismus zusammenfanden, hauptsächlich Mussolini, Bianchi, Balbi und Rossoni, wußten wohl, welche Kräfte der Sozialismus aus den Gewerkschaften zieht, und sie bemühten sich, eine ähnliche Grundlage für ihre Partei zu finden. Ebenso wie ihre politi~che Herkunft legte ihnen zudem die ZusammensetZW1gihrer ersten Anhänger nahe, eine ökonomisch ... soziale Plattform zu suchen. (Uebrigens liegt der gewerk~chaftliche Gedanke durchaus •im Rahmen der d' Annunzianisch-nationalistischen Ideologie. Sowohl i,n Fiume als .auch später setzte •sich 5*

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