Hanns-Erich Kaminski - Fascismus in Italien

.. - 63 - jedem Fall eine unbequeme Fessel, und sie begriffen recht gut, daß ihre Regierungsweise unter einer kritischen Kontrolle auf die Dauer nicht fortgesetzt werden kön~te. Eine Aenderung des Wahlrechts: das war das ProbLem. Ein theoretischer Mantel war selbstv,erständlich zur Hand. Auch .die Fascisten haben ihre Bucharins. Diese Sachverständigen entdeckten, daß zur H,erstellung einer festen parlamentarischen Regierung eine Partei die absolute Mehrheit in der Kammer haben muß, wie es in England der Fall ist. Die komplizierte Vielfältig..1 keit der italienischen Parteien, die durch das Verhältniswahlrecht alle im Parlament vertreten waren und die normalerweise die Bildung von Koalitionsr·egierungen nötig machten, mußte also bes·eitigt werden) um die fascistische Diktatur zu sichern, ohne daß; der Kammer die Möglichkeit blieb, sie durch eine friedliche Abstimmung zu stürzen. Die Ersetzung des Proporzes durch das früher übliche Majoritätssyst~m, bei dem auch recht beträchtliche Minderheiten unvertreten bleiben, erschien den fascistischen „Theoretikern" noch keineswegs sicher genug, um ihnen die Erober:ing der absoluten Mehrheit zu garantieren. Daher heckten sie jenes fatnose Gesetz aus, von dessen Inhalt ich im vorigen Kapitel ge ... sprochen habe. Das Pluralwahlrecht für die Frauen; das die Besitzlosen ':.lnberücksichtigt lassen würde, soll dieser Ungerechtigkeit noch die Krone aufsetzen. Denn, wie Mussolini sagt: ,,Das Wahlrecht ist nicht ein angeborenes Naturrecht, sondern eine Belohnung, die erst verdient werden muß." · Aber was ist nun dort geschehen, wo den Staat wirklich der Schuh drückt? Was hat die fascistische Regierung getan, um ihre sozialen Versprechungen einzulösen? Wie hat sie an der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, der Wohnungsnot, der Handelskrise gearbeitet? In Neapel, unmittelbar vor dem Marsch auf Rom, erklärte Mussolini noch die traurige Wirtschaftslage für eine lediglich moralische Krise, die mit Energie und Disziplin leicht zu beseii:gen sei. Der Fascismus ist an der Macht, wo sind die Beweise für diese Behauptungen? Der große Erfolg, mit dem sie sich brüstet, ist die Verringerung des Defizits, das nur noch rund 3 Mit:iarden beträgt und dessen gänzliches Verschwinden für das Etatsjahr 1923/24 angekündigc wurue. Es gibt aLerdings zahlreiche Sachverstindige, wie z.B. den Finanzmitarbeit,er der „Stampa", die die fascist:schen Bilanzen für frisiert erklären, und sogar der halbfascistischre ,,Nuovo Paese" hat sich gelegent!ich eines Angriffs auf den Finanzminister in diesem Sinne ausgesprochen. Aber man kann dem Minister di Stefaai - übrigens ein Exlibera:er und nächst Muss,olini ohne Zweifel die stärkste Pers,ön!ichkeit des Fascismus - seine Kom- --.petenzund seine Tatkraft ohne weiteres zugestehen. Er hat bisher

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