I - 58 - Mit dem rumänischen Hofe werden Heiratspläne gemacht, und nach dem Abschluß des Handelsvertrages mit Rußland werden an _die neue Freundschaft große Hoffnungen geknüpft. Aber ist Italien ernsthaft entschlossen, alle Intrigen in Budapest, Sofia und Tirana aufzug,eben? Kann es bei seiner Armut an Rohstoffen und Kapital großen Nutzen aus den russischen Möglichkeiten ziehen? Und wie wird sich sein Verhältnis zur kleinen Entente gestalten? Mit der. Tschechoslowafoei ist zwar im Mai 1924 ein Vertrag zustande gekommen, in dem eine „Collaborazione" der beiden Staaten stipuliert ist, aber wie weit eine Zusammenarbeit gehen kann, ob sie eine Loslösung der Tschechoslowakei von Frankreich, Italiens von Ungarn bedeutet, liegt vorläufig noch im Dunkeln. Vor allem aber, wie wird sich die neue italienische Politi~ gegenüber Griechenland verhalten? Denn daß eine Pazifizierung der italienischen Ostpolitik nicht möglich ist, ohne den Gegensatz zu Griechenland zu schlichten, liegt auf der Hand. Nachdem der venizelistische Großmachttraum in Lausanne liquidiert ist, scheint auch das allerdings nicht unmöglich. Auch iri der Reparationsfrage ha,t die Regierung Muss'.olinis nach ihren ersten Mißerfolgen auf jede eigene Initiative verzichtet. Sie wünscht selbstverständlich die Befreiung Europas von dem Alpdruck des deutsch-französischen Gegensatzes, der a:tf Italien wie auf allen andern Ländern lastet, und sie nahm den Dawes-Bericht als eine ausg,ezeichnete Grundlage dazu an. Aber obgleich sie kaum noch auf Zahlungen von Deutschland rechnet, ist ihr Standpunkt nicht der gleiche wie derjenige Englands. Sie versucht vielmehr im Einvernehmen mit Belgien immer wieder die Frage der interalliierten Schulden aufzurollen, deren Streichung sie als eine Kompensation für eine Entlastung Deutschlands erlangen möchte. Man bemerkt, daß die äußere Politik des Fascismus nach einem kur~en Anlauf zur Selbständigkeit bald in das Fahrwasser der andern Regierungen geraten ist, deren „Nullismus" er früher so heftig angegriffen hat. In der Tat stehen· einer eigenen Politik auch allzu viele sachliche und persönliche Hemmungen entgegen. Die Auswärtigen Aemter aller Länder besitzen ein noch größieres Beharrungsvermögen als die Verwaltungen, und der Fascismus hat nicht die Personen zur Verfügung, die über genügend Kenntnisse und Erfahrung in diesem schwierigsten Abschnitt der Politik verfügen, um etwas daran ändern zu können. Die Amtsräume sind von der Consulta nach dem Palazzo Chigi verlegt, aber das Personal ist unverändert geblieben und setzt im großen ganzen seine alte Politik fort. Di,e Lorbeeren, die der Fascismus nun einmal haben m:t~ pflückte er inzwischen in den Kolonien. Seitdem er zur Macht ge-
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