Hanns-Erich Kaminski - Fascismus in Italien

.. - 25 - und geographischen Schwäche Italiens Rechnung getragen. Aber er mußte -einsehen, daß seine Mahnungen zur Vernunft ebenso vergeblich waren wie diejend_gen aller Bin.sichtigen im Laude. Als er nur mit Mühe einem Sturm entgangen war, den die verhetzte M,enge nach einer Rede d' Annunzios im Theater Gostanzi auf seine römische Wohnung unternahm, hatte er Rom verlassen, um erst wieder nach der Niederlage von Caporetto am politischen Leben teilzunehmef!. Dieser skeptischste aller Italiener gab sich auch jetzt, als man ihn wie Cincinati vom Pfluge holte, um den bürgerlichen Staat zu retten, keinen Täuschungen hin. Seinem politischen Glaubensbekenntnis nach steht er beträchtlich weiter rechts als Nitti, aber er ist keineswegs ein Reaktionär. Als Liberaler alten Schlages, schätzt er die Demokratie, aber er hat kein Verständnis dafür, daß sie eine taube Nuß bleiben muß, wenn sie sich nicht vom Politischen auf das Soziale ausdehnt. Er sah nur die Gefahren, d-ie der Monarchie drohten, und er setzte seine ganze persönliche Autorität und sein ganzes Verwaltungstalent ein, um sie abruwenden. Er versprach der Linken die Aufgabe Albaniens, den • Popolari die Dezentralisation der Verwaltung, der Rechten eine befriedigende Lösung der Fiumaner Frage. Auf den von wissenschaftlicher Einsicht diktierten Realismus Nittis folgte nun eine praktische Demagogie, die mit dem Programm: soziale Gerechtigke,it, wirtschaftliche und finanzielle Wiederherstellung, Schutz der Staatsautorität in Wirklichk,eit eine Sammlung aller gegen:r:evolufi.onären Kräfte ,einleitete. Giolitti erkannte wohl, daß der Fascismus für den bestehenden Staat nicht minder gefährlich war als der Sozialismus. Aber er erschien ihm zunächst als das kleinere Uebel. Er · unterstützte ihn und bediente sich seiner in der Hoffnung, späte11 mit ihm schon auf irgendeine Weise fertig zu werden. In Wirklichkeit hatte die revolutionäre Situatiion in diesem Augenblick ihren Höhepunkt schon überschritten. Zwar die Krise hielt unvermindert an, aber die Erregung der Massen begann nach dieser langen Periode geistiger Spannung einer gewissen physischen Müdigkeit zu weichen. Auf der andern Seite erholte sich die Bourg,eoisie angesichts des Ausbleibens ernsthafter Schläge von dem Schrecken, mit dem sie die Revolution geduckten Hauptes erwartet hatte. Ihre Abwehrorganisationen, durch reiche Geldmittel unterstützt, wuchsen rasch. Sie mündeten fast alle im Fascism!U.$, der die energischste und skrupelloseste ilieser Bewegungen darstellte.· Bald konnten sie sogar in eJnzelnen Provinzen zum Angriff ü~rgehen, und die Art, än der sie bei derartigen „Repres· .. salien" vorgingen, führte ihnen neue Anhänger .aus jenen Schichten zu, deren natürliche Neigung ru Ausschreitungen noch durch die Vierwild~rung des Kri~ges wid die Aufrlf;!,gungender Folgezeit gesteigert worden war.• Viele von ihnen waren soeben er.st Sozialisten gewesen, Sozialisten versteht sich ohne aufgeklärtes Denken und

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