Hanns-Erich Kaminski - Fascismus in Italien

-16In dieser verschiedenartigen ZUsammensetzung der Partei war jedoch von vornherein ihr zweideutiger und unentschlossener Charakter begründet. Ihr Programm ,enthält alle Forderungen der Demokratie: Ptoportio~alwahlrecht, Frauenwahlrecht, Provinzialautonomie, Landaufteilung, Schulzwang, Anerkennung der Gewerkschaften, Produktionskontrolle usw. Die r1eligiösen Ziele - Reli- ._gions'll:nterricht, keine Ehescheidung - kommen dabei erst in zweiter .Linie. Nicht einmal in ihrem Namen kommt das Wort christlich oder katholisch vor, sie heißt lediglich Italienische Volkspartei. Dieses partikularistisch - demokratisch - soziale Programm brachte dhr sofort eJnen gr<>ßen Wahlerfolg, und sie foonnte mit hundert Abgeordneten in die Kammer einziehen, in der sie bis ~um Siege des Fasaism111sder ausschlagg 1ebende Faktor· war. Zu einer positiven Leistung war die junge Partei jedoch - vielleicht wegen ihrer Jugend - nicht fähig. Ohne ihr Auftreten hätten die Sozialisten ohne Zweifel die M,ehrhieiiterhalten, und iinWirklichkeit siind die Popolari die Retter der Verfas~ung gewesen. Aber während ihr rechter Flügel immer nach Giolitti schielte, war ihre Linke nicht weniger revolutionär und nicht einmal w,eniger sozialistisch ,als die Sozialisten. Und Don Sturzo, der ein genialer Taktiker, aber nur ein mittelmäßiiger Theor,etiker ist, vermochte zwar stets diese verschiedenen Tendenzen unter einen Hut, jedoch nicht auf eine gerade Linie zu bringen. Si,e nahmen an aHen Regierungen teil, um sie dann dessenungeachtet zu stürz,en, aber immer zu den Zweideutigkeiten des Jesuitismus bereit, ohne Wagemut und ohne Initiative, woHten sie niemals eine witklkhe Verantwortung übernehmen. Sie hätten gern die Früchte einer sozialistischen Revolution gepflückt, aber sie hüteten sich wohl, sich zu kompromittieren. Sie haben ein sehr radikales Programm, aber sie sind beileibe keine Revolutionäre; sie sind gern bereit zu gewinnen, aber sie wollen nichts. riskieren. Sturzo verfolgt sicher mit ehrlichem Feuer das Ziel,. einen Staat kleiner Landbesitzer zu schaffen -und den Arbeitern in den volksparteilichen Gewerkschaften Spielraum zur Erkäµipfun_g ihrer ber,echtigten Ford~- rungen zu geben, aber neben iihm stehen die vatikan;ischen Diplomaten, die opportunistischen Routiniers, di,e frommen Kapitalisten, würdige Nebenbuhler der liberalen und demokratischen Sumpfbewohner. Die Herrschaft des Parlaments und der Parteien wird jedoch immer wieder durch die öffentliche Meinung in Frage gestellt, dde sich in Italien mit einer Vehemenz ohnegleichen rur Geltung bringt. Sie ist der wahre Souverän des Staates, ein irrationaler und leidenschaftlich-er Souverän, leicht beeinflußbar und zu Ueberschwenglichkeiten neigend. Es war die öffentliche Meinung, die gegen de:n · Willen der Krone, der Kammern, der Parteien den Eintritt. in den Krieg erzwang; es war die öffentliche Meinung, die die soziale

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