- 12 - lung, di,e zum Fascismus geführt hat, zu verstehen, ist es daher, unumgänglich, sich ein Bild von dem politischen Charakter des Kleinbürgertums zu machen. Die Mannigfaltigkeit der· Natur des Landes, die durch wi,rt- .schaftliche Notwendigkeiten nicht vereinheitlicht wird, muß den sich daraus ergebenden Mangel an g,emeinsamen politischen Gesichtspunkten noch v,erstärken.- Italien hat nicht die ausg,edehnten Ebenen, auf denen sich die Reiche des Nordens gleichsam einem Naturgesetz entsprechend gebildet haben, es hat auch nicht die großen Industrien und Kapitale, die sich imm,er weitere Märkte unterwerfen und dort die gleichen. Gesetze und Verkehrsmöglichkeiten schaffen, um die Verbtaucher für ihre Erze'ilgnisse unter den günstigsten Bedin,gungen erreichen zu können. Seine Nat:ir begünstigt vielmehr einen Geist der Kleinstaaterei und der partikular,en Interessen. Diese romantischen Berge, diese 'holden Täler, dies,e kleinen Städte, wo seit Jahrhunderten. dieselben Familiien in winkligen Gassen wohnen und wo das ganze öffentliche Leben sich auf einem Platze oder einer Straße abspielt, die uns w:ie die Szenerie einer Spieloper erscheinen, unterscheiden sich immer auf eine Weis,e, je nach der Landschaft, in der sie gelegen sind. Unteri den hundert Städten des Landes ist Mailand die einzige Groß,stadt mit europäischen Maßstäben, wo das Leben jenen überaus modernen Zusamm·enklang aus Arbeit und Vergnü,gen findet. Die übrigen haben sich, gena,u wie die Provinzen, gewisse Eigenarten bewahrt, in denen der ursprüngliche Patriotismus des Italieners wurzelt. Turin, die Elegante; Venedig, die Schöne; Genua, die Reiche; Florenz, die Stolze; Rom, die H,eilige; Neapel, die Fröhliche; Palermo, die Glühende; Messina, die Vulkanische - das sind die Merkmale, auf die jeder ihrer respektiven Bewohner stolz ist. Hier ·liegen die Quellen einer Heimatliebe, die immer .zuerst der Vaterstadt und dann dem Staate gilt. Weniger als jedes andere Land besitzt Italien eine gemeinsame materielle Basis, sein Gefüge als Nation beruht im wesentlichen auf der Sprache und auf der Trru-· dition historischer, geistiger, künstlerischer und kirchlicher Erinnerungen. Auf dieser natürlichen wid wirtschaftlichen Grundlage beruht der bis zum Anarchismus individuelle Charakter des italienischen Volkes mit seiner großartigen Schätzung Jeder Persönlichkeit und mit seiner vornehmen Tol,eranz gegenüber jeder Eigenart. Dar.um ist es das Volk der Künstler, im Innersten abgeneigt jeder Unif.ormierung, heiter und eindrucks-fähig, leicht entflammt, freilich auch leicht geblendet, friedliebend und vertrauensselig, · s.tolz auf die warme Sonne und die hehren Monwnente seines Vaterlandes, z:.i dem wdr blasierten Europäer aius1W1sern babelischen Städten kominen, um von jener süßen Romantik zu trinken, die aus unserer Nonnalwelt verschwunden ist.
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